Mit der Geschichte planen
01 December 2004
 

Landschaftsarchitekur in China
Zhang Ke

An der Stadtmauer aus der Ming Dynastie in unmittelbarer Nähe des pekinger Bahnhofs entstand auf 1,5 Kilometer Länge ein neuer Landschaftspark. Der Entwurf verzichtet auf große Gesten, nimmt stattdessen die Geschichte des Ortes auf und entwickelt sie weiter.

 Sich heutzutage mit Planungen in der historischen Stadtstruktur von Paking zu befassen, heißt in der Regel, sich mit Aspekten auseinanderzusetzen, die zwischen Architektur, Landschaftsarchitektur, Denkmalschutz, Städtebau und Stadtplanung angesiedelt sind. lm Rahmen unserer Auseinandersetzung mit der Stadtmauer aus der Ming Dynastie in Dong Bian Men, waren wir mit Problemen konfrontiert, die alle diese Disziplinen betrafen. Wir traten in einen Diskurs über den angemessenen Umgang mit dem historischen Erde ein. Aufgabe in dem von der Stadtverwaltung im Jahr 2001 initiierten Wettbewerb war es, für das 1,5 Kilometer lange Gelände einen Landschaftspark zu entwerfen. Auf dem Areal stehen das einzige erhaltene Stück Stadtmauer aus der Ming Dynastie und der Wachturm Dong Bian Men. lnnerhalb der Stadtstruktur stellt dieses Gebiet die Grenze zwischen Stadt und Peripherie dar. Der Wachturm ist die erste Landmarke, die ins Auge fällt, wenn man mit dem Zug in den Bahnhof von Peking einfährt. Dieser Ort ist einer der wenigen Punkte, die eine Reflexion über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Stadt ermöglichen. Unser Entwurf wurde im Jahr 2002 realisiert. Natürlich stellte sich zunächst die Frage, wie wir mit der teilweise stark beschädigten Stadtmauer umgehen sollten. Es gab bereits Vorschläge, nach denen die Mauer mit Einbauten ergänzt werden sollte. Wir jedoch sahen die Lösung gerade nicht darin, einfach ein Objekt zu schaffen oder ein existierendes in ein neues zu transformieren. Stattdessen begannen wir, uns intensiv mit dem Ort zu befassen: Denkmäler, Materialien, Lebediges, Möglichkeiten. Der Reichtum an historischen Schichten faszinierte uns. Leider geraten die Reste der Stadtmauer am Rand der historischen Altstadt zunehmend ins Abseits. Erschwerend kommt hinzu, dass das Gelände zu unterschiedlichen Verwaltungseinheiten gehört. Wit stellten uns der Herausforderung, einen Weg zu finden, um die Mauerreste wieder mit der sich permanent ändernden Stadtstruktur zu verweben. Statt durch eine Rekonstruktion der Stadtmauer ein gefälschtes Bild der Vergangenheit zu schaffen, wollten wir Erinnerungen hervorrufen und die historischen Schichten offenlegen; anstatt die Mauer dauerhaft mit Objekten zu besetzen, eine Plattform für künftiges schaffen; und statt einfach nur eine schöne Landschaft zu gestalten, wollten wir einen Ort schaffen, an dem die Kraft der Geschichte selbsterklärend ist.

Bewahrung des Bestandes

Basierend auf diesen Gedanken schlugen wir dann vor, sich bei den Planungen für die Mauer auf die notwendigsten Erhaltungsmaßnahmen zu beschränken. Wir konzentrierten uns auf die Bereiche im direkten Umfeld der Mauer und teilten das Gebiet in fünf Zonen ein: im westlichen Teilbereich das Kulturzentrum Lao Beijing Nan Cheng Gen im Norden der Mauer und ein Skulpturengarten im Süden, im Zentrum der Eingang zum Hauptbahnhof und im östlichen Bereich das Gebiet um den Dong Bian Men Wachturm sowie nördlich davon ein Stadtwald jenseits der Bahnlinie. Die Stadtmauer verbindet diese verschiedenen Zonen.  

ln diesem Kontext stellt das Kulturzentrum Lao Beijing Nan Cheng Gen einen wesentlichen Ankerpunkt dar, der die Mauer mit der Umgebung verbindet. Wir haben für diese Zone ein Konzept entwickelt, das über die Plangebietsgrenzen hinausgeht. Die städtebauliche Struktur besteht im Wesentlichen aus eingeschossigen Gebäuden, Höfen und Hutongs mit Teehäusern, Kunstgalerien und kleinen folkloristischen Theatern. Diese eingeschossigen Gebäude stehen in einem angemessenen Maßstab zur historischen Mauer. Mittel, die dort erwirtschaftet werden, bieten auf lange Sicht eine finanzielle Basis fÜr die Pflege und Entwicklung des Parks. So könnte dieser Bereich zu einem Ort werden, vermutlich der einzige der Stadt, wo im Umfeld der Mauer aus der Ming Dynastie zeitgenössisches und traditionelles Leben zusammentreffen.  

 Gegensätze an der Mauer

lm Skulpturengarten auf der Südseite der Mauer haben wir die Standorte aller alten Bäume kartiert und erhalten. ln den Nischen, die durch die Mauer und ihre Befestigungen entstehen, können zeitgenössische Skulpturen aufgestellt werden. Die Landschaft dieses Gebiets soll wild und unkultiviert sein, im starken Kontrast zum nördlich anschließenden Kulturzentrum Lao Beijing Nan Cheng Gen. Gerade dieser Kontrast belebt die historische Bedeutung des Gegensatzes zwischen diesseits und jenseits der Mauer wieder.

Zusätzlich zu seiner Funktion als Ort der Ruhe und Entspannung könnte auf dem Areal um den Dong Bian Men Wachturm östlich des Bahnhofs auch ein internationales Kunstfestival stattfinden. Der Wachturm bietet eine ideale historische Kulisse für solche Kunst-und Kulturveranstaltungen. Die Mauer ist an dieser Stelle aus der Perspektive des Fußgängers kaum sichtbar, da sie von einem Cluster aus temporären Behausungen verdeckt wird. Daher sahen wir vor, das Gelände auf der Südseite der Mauer um ein bis zwei Meter abzugraben, so dass die Fundamente zum Vorschein kommen. Die Oberfläche wurde dann so modelliert, dass sie zur Mauer hin abfällt. Dadurch entstand ein schöner Sitzplatz für die Anwohner. Mit der auf der Südseite entnommenen Erdmasse wird ein kleiner Hügel auf der Nordseite aufgeschüttet, der vor den Lärmemissionen des angrenzenden Bahnhofs schützt.  

Die Mauer als Ort der Kunst

Die Fundamente der Mauer eignen sich gut für temporäre Kunstinstallationen und Darbietungen. Statt bleibender Elemente wie Glaswände bevorzugten wir temporäre Installationen. Auf diese Weise können verschiedene ldeen wie Stahl-, Textil-, Wasseroder Digitalwände getestet werden.

Der Südeingang des Hauptbahnhofs ist sowohl architektonisch als auch städtebau-lich problematisch: Wie sollte man mit dem Raum zwischen Park und Bahnhofsvorplatz umgehen? Wie die Verkehrsführung organisieren? Welche Architektur wÜrde der neue Bahnhof haben? Diese Fragen waren unvermeidbar, obwohl wir wussten, dass der südeingang des Bahnhofs nicht kurzfristig realisiert würde. Auch hier arbeiteten wir über das Geforderte hinaus und planten sowohl den Bahnhof als auch den Vorplatz mit der Verbindung zur Mauer und auch die Verkehrsführung. Am Vorplatz schufen wir schmale Öffnungen in der Mauer. Diese bewirken eine besondere Raumerfahrung, wenn auf dem Weg vom Bahnhof in die Stadt, oder umgekehrt, die Mauerreste durchschreitet. Uns war wichtig, die Gestaltung des Platzes einfach und geradlinig zu halten und unnötig komplizierte Lösungen, wie es sie am Westbahnhof der Stadt gibt, zu vermeiden. An der Westseite haben wir eine neue Straße geplant, um den Zugang für Fahrzeuge in den Bahnhofsbereich und in die Parkgarage zu gewährleisten. Dadurch konnten wir den Bau einer trennenden Straße zwischen Bahnhof und Stadtmauer vermeiden.  

Die Architektur des Bahnhofs ist ebenfalls einfach und geometrisch. Durch seine leichte und transparente Wirkung wird er nahezu zum Hintergrund der dicken Ziegelmauer. Die Fragmente der Mauer werden zu Skulpturen-schwer, grotesk, geheimnisvoll. Die Mauer und der Bahnhof bedrängen sich nicht gegenseitig, denn sie gehören eindeutig zu verschiedenen historischen Schichten. Der Stadtwald ist ein etwas isoliertes Areal, da es von den anderen Gebieten durch die Bahngleise abgeschnitten ist. Wir pflanzten verschiedene Kiefernarten, die das ganze Jahr über eine grüne Kulisse bieten. Kieswege verlaufen durch den Wald, der zudem mit Sitzmöbeln ausgestattet wird. Die Spuren eines mittlerweile abgetragenen Teils der Stadtmauer ist mit Kies bedeckt, so dass ihr historischer Verlauf sichtbar wird. Dieser etwa drei Hektar große Wald sollte ein ruhiger Ort werden, ein Rückzugsort vor allem für die älteren Bewohner der Stadt.  

Kraft der Geschichte

Wir verzichteten bei der Parkgestaltung auf alle überflüssigen Elemente wie Springbrunnen oder komplexe Pflanzungen. Damit hätten wir zwar eine malerische Landschaft schaffen können, hätten uns aber von der eigentlichen Grundidee des Projekts entfernt: nämlich die Kraft und Schönheit der Geschichte des Orts offenzulegen.

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